lunedì 16 gennaio 2012

sf Magazin


Vom Star des italienischen Noir-Thrillers aus Frauensicht, Elisabetta Bucciarelli, gibt es erstmals was zu Deutsch. Ihre hochsensible Hauptkommissarin 'Vergani' kämpft mit eigener psychischer Schieflage und wenig Abstand zu der ihrer Lebewelt. Im wirklichen Polizeidienst würde die Figur sofort durchdrehen, doch stilistisch ist "Ich vergebe dir" ein Ausnahmekrimi.  Von Franz Birkenhauer - sf magazin 15.01.2012



Blättert der anspruchsvolle Krimi-Leser durch die Seiten von Elisabetta Bucciarelli 's "Ich vergebe dir", könnte es passieren, dass er es erschreckt auf den Büchertisch zurückfallen lässt. Sie arbeitet mit der von angelsächsischen Kollegen arg in Verruf gebrachten Kurz-Kapitel-Technik: immerhin 114 Stück auf 286 Seiten. Doch anders, als bei den Schnellschreibern oder Ghosts Engagierenden, die diese Technik für Effekthascherei nutzen, die doch nur ein strikt lineares Vorgehen ummäntelt, ist der Leser bei Bucciarelli gezwungen, aus Schlaglichtern, einem Foto-Album gleich, selbst zu einer Genese des Gemütszustandes der Handelnden zu kommen und die Implikationen auf die größere Moral, hier des Landes Italien, zu ziehen.
Hauptkommissarin Vergani tritt nicht zum ersten Mal in einem Buch Elisabetta Bucciarelli 's auf. Ihre Stärke ist nicht messerscharfe Ermittlungsarbeit, sondern ihre Stärke erwächst aus ihrer eigenen Schwäche. Die Bücher handeln zum großen Teil ihre eigenen psychologischen Wegmarken im Privaten, im Beruf und im Liebesleben ab. Sie hangelt sich beim Ermitteln einen Grat entlang, auf dem sie ständig eventuelle Motive von Tätern oder Verfehlungen von Arbeitskollegen mit dem eigenen Erleben, den eigenen Ängsten, den eigenen Fehltritten abgleicht. Das entwickelt eine Synergie, bei der man allerdings stets um das Wohlergehen der Polizistin zittert, und ihr oft einen Arschtritt geben möchte, ob ihrer Verzagtheit, Schüchternheit und anderem, das sie in ihrer Liste "Dinge, die schieflaufen" aufführt:
Bei der Geburt verstoßen. Ein Leben in Heuchelei. Aufbrausend. [...] Stur. Penibel. Unfähig, Gefühle beim Namen zu nennen.
Tatsächlich wächst sie bei Pflegeeltern auf und leidet unter Kontrollierter Anorexie (Essstörung).
"Ich vergebe dir" bildet ein Kaleidoskop aus drei Hauptsträngen. Da ist der Aufhänger der Kindesentführungen im abgelegenen Aosta-Tal, zwei Autostunden nördlich von Mailand, wo Vergani lebt, eine Mordserie an Prostituierten im Mailand der Siebziger und die Verwicklungen der eigenen männlichen Kollegen im dortigen Nachtclub-Milieu der Jetzt-Zeit. Nicht zuletzt die eigenen Affären der 40-jährigen Single-Kommissarin, in denen es ihr nie gelingt, dem eigenen Anspruch dem anderen gegenüber zur Genüge Geltung zu verschaffen, werfen sie zurück auf Fragen nach Wahrheit und Vergebung. Die reflektiert sie wiederum auf den Fall des alten Priesters 'Don Paolo', der zusehends in den Verdacht des schweren Kindermissbrauches fällt. Doch wer denkt, Elisabetta Bucciarelli handle stumpf dieses derzeit in fast allen Ländern schwelende omnipräsente Thema ab, wird sich noch vor Ablauf eines Drittels des Buches getäuscht sehen ...
Manche Kapitel erzeugen auf zwei Seiten ausgeklügelte Miniaturen ihrer Figuren, andere lässt sie mit anscheinend beiläufigen alltäglichen Dialogen, etwa mit Freundin 'Inga', nur Bausteine sein, für ein Gerüst der Zwickmühlen, in denen sie stecken. Mit einer explizit fraulichen Sicht pflügt Elisabetta Bucciarelli durchs Spannungsfeld der beiden Geschlechter, konstatiert, was ist, und wird uns kaum Linderung versprechen. Eine kraftvolle Noir-Stimme, die im Menschsein dorthin geht, wo's wehtut.


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